Lhasa: Tashi Delek Tibet!

22:15 Uhr. Wir unterhalten uns gerade mit einem Belgier (der einzige Europäer an Bord) als wir den Bahnhof Golmund auf 2809m erreichen. Eine dritte große Lokomotive wurde angekoppelt, da es ab jetzt bis auf 5072m bergauf gehen wird. Der Zug fährt 90% der Strecke auf über 4000m. Aus manchen eingebauten Sauerstoffdüsen im Zug zischt es ab jetzt laut. Der Belgier erzählt uns, dass er schon einmal auf knapp 4000m Höhe geschlafen hat und sich am nächsten Morgen aufgrund der Höhenkrankheit kaum mehr bewegen konnte. Er hatte Schmerzen am ganzen Körper und konnte seinen Weg nicht fortsetzen. Berit überlegt, ob sie doch noch aussteigen soll, aber der Zug hat seine Fahrt schon fortgesetzt. Jetzt gibt es wirklich kein Zurück mehr. Das Schicksal wollte es so. Golmund war der letzte Bahnhof vor Tibets Hauptstadt Lhasa. Noch gute 15 Stunden Fahrt liegen vor uns. Gegen Mitternacht legen wir uns schlafen. Wir sind jetzt durchgehend zwischen 4000 und 5000m Höhe unterwegs. Berits Papa hatte irgendwann in der Nacht ein ganz eigenartiges Gefühl am ganzen Körper. Berit wurde es plötzlich sehr kalt und sie bekam leichte Gliederschmerzen. Waren das die ersten Symptome der Höhenkrankheit? Wir rätselten, ob überhaupt aus den Düsen Luft angereichert mit Sauerstoff kommt oder ob einfach Frischluft von draußen reingepustet wird. Eine Antwort konnten wir darauf von Niemandem bekommen. Wir schlossen unsere zischenden Sauerstoffdüsen in unserer Schlafkabine und wollten uns ganz der Höhenluft hingeben. Vielleicht können wir uns so schon ein bisschen akklimatisieren. An Schlaf war irgendwie nicht so richtig zu denken. Man fährt auf 5000m Höhe durch eine menschenleere Steppe. Da bekommt man es schon ein bisschen mit der Angst zu tun. Hier mal ein paar Fakten. Wir denken auch an die Menschen, die bei dem Bau der Strecke ihr Leben verloren haben. Es ist auch traurig zu wissen, dass diese Bahn hauptsächlich aus Prestigegründen gebaut wurde. Da tut es schon fast weh, mit diesem Zug zu fahren. Für uns stellte jedoch weder der Landweg, noch das Flugzeug eine Alternative da. Trotzdem wollten wir Tibet besuchen und uns selbst ein Bild von der jetzigen Situation machen und es Euch erzählen. Vielleicht ist es ja auch alles halb so schlimm und die Tibeter können ein ruhiges, friedliches Leben auch unter chinesischer Regierung führen. Wir freuen uns auf die geheimnisvolle und verbotene Stadt Lhasa. 

Als wir am nächsten Morgen aufwachen, schauen wir als erstes aus dem Fenster. Was für eine umwerfende Landschaft. Schneebedeckte Berge, weite Steppe, kristallklare Seen, Yaks und kleine Steinhaussiedlungen. Zwischendrin immer wieder Soldaten, die an der Bahnstrecke Spalier stehen. Als wir Lhasa erreichen, erinnert alles an eine Großstadt. Wir fahren an Industriegebieten vorbei, an Autohäusern von Mercedes, VW, Subaru, BMW usw.,  wir sehen auch von weitem viele Hochhaussiedlungen. Sind wir hier wirklich richtig? Ist das Lhasa? Straßenzüge mit chinesischen Flaggen rechts und links an jedem Laternenmast. Berit sagt spaßend, dass dort ja die tibetischen Flaggen hängen müssten und ob wir diese nicht in einer Nacht und Nebel Aktion einfach mal austauschen wollen. Ihr ist der Ernst der Lage noch nicht ganz bewusst. Tibet ist nach wie vor ein Krisengebiet. Nach der Ankunft rennt Berits Papa als erstes aus dem Zug und freut sich endlich tibetische Luft einatmen zu dürfen. Berit und Tamas sind noch skeptisch, was die tibetische Luft angeht und schleichen eher aus dem Zug. Werden wir noch Luft bekommen oder gar in Ohnmacht fallen. Nichts dergleichen passiert natürlich. Die Luft ist wirklich eine Wohltat, wenn man an die Smogluft in Chengdu denkt. Am Bahnhofsausgang kontrollieren die Polizei von allen ankommenden Gästen die Zugtickets und Pässe. Unsere Pässe behält der Polizist ein und fordert uns auf, neben ihm zu warten, bis er alle anderen Gäste in der Schlange kontrolliert hat. Anschließend führt er uns in ein Nebengebäude des Bahnhofs. Es ist die Polizeistation. Hier wird unser Tibet-Permit und die Pässe überprüft. Alles in Ordnung! Wir verlassen den Bahnhof und werden nach einer weiteren Absperrung und Polizeikontrolle, herzlich in Empfang genommen. Uns wird zur Begrüßung ein weißer Khata umgelegt. Wir fahren mit dem Auto zu unserem Hotel. Es ist schönstes Wetter. Fast wolkenloser Himmel, strahlender Sonnenschein und angenehme Wärme bei bestimmt 15 Grad. Typisches Wetter in Lhasa. Tagsüber angenehm warm (Sommer max. 29 Grad), nach Sonnenuntergang bzw. am Morgen kann es bitterkalt werden. Wir fahren auf einer dreispurigen Straße. Nein, noch sind wir immer noch nicht in Lhasa. Oder doch? Wir schauen uns alle drei entsetzt an. Genauso sah es doch in Chengdu und Xining aus?! Lhasa soll eine weitere chinesische Großstadt sein? Dann hätten wir auch in Xining bleiben können. Vor uns erscheint der Potala Palast. Also doch! Wir sind in Lhasa. Scheint nur alles ganz anderes zu sein, als wir es uns vorgestellt hatten. In unserer Vorstellung ist Lhasa eine kleine, etwas schmutzige, mittelalterliche Stadt. Okay, von diesen Vorstellungen müssen wir jetzt wohl Abschied nehmen. Nach 20-minütiger Fahrt steigen aus und da ist sie doch noch: die Stadt unserer Träume! Kleine Gassen, bunte kleine verzierte Häuser, viele Händler,Trubel, Menschen mit drehenden Gebetsmühlen oder Gebetsketten in den Händen, gekleidet in schönen für uns altertümlichen Trachten. Weihrauchduft durchzieht die Gassen. Es ist, als wäre die Zeit zurückgedreht. Wir erreichen unser Hotel. Es liegt direkt in der Altstadt und wir werden mit einem Masala Tee empfangen. Unsere Zimmer sind im tibetischen Stil eingerichtet und wir fühlen uns sofort wie im alten Tibet. Ein neues Abenteuer kann beginnen. 

Jokhang Tempel
Jokhang Tempel
Jokhang Tempel
Jokhang Tempel
Panorama Aufnahme Potala Palace
Panorama Aufnahme Potala Palace

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